Dienstag, 18. Oktober 2016

 Nachschau 7.Okt. 2016                     Klaus Burghardt

 Dalai Lama: Ethik ist wichtiger als Religion
„Will der Dalai Lama alle Religionen abschaffen?“ lautete eine Frage in der Anfangsphase der Diskussion. Es gehe nicht darum, Religionen abzuschaffen - vielmehr sei eine „religionsübergreifende Ethik“ nötig, so eine andere Teilnehmerin.
       Warum brauchen wir Religionen? Was kann Religion, was Ethik nicht kann? Wurde Ethik in der Diskussion doch als „das Verbindende“ bezeichnet. Ethikunterricht z.B. würde den Kindern dieses Verbindende, das, was eine religionsübergreifende Ethik beinhalten sollte, nahebringen - statt das Trennende in den Vordergrund zu stellen, wie es im Religionsunterricht geschieht. Ethik, hieß es z.B., gibt einen Rahmen vor, bietet Begriffe, unter denen allerdings jeder etwas anderes verstehen kann. Ethik sei „verhandelbar“. Eine einheitliche Ethik zu formulieren sei schwierig.
    Religionen bieten demgegenüber Sicherheit, konkrete Vorschriften, Rituale. Angesichts der sehr unterschiedlich verteilten „Herzensbildung“ sei dies für viele Menschen hilfreich. Allerdings: „Wenn man in ein enges Denken eine Erweiterung einbringen will“, könne dies schwierig sein.
    Ethik mangele es an der Fähigkeit, „mein Leben zu tragen“. Religion gebe Antworten auf Fragen wie „Wo komme ich her?“ Der Ethik fehle das Übersinnliche. Die „weisheitliche Richtung“ greife zu kurz. Ob die „Gelassenheit“ der Stoa oder die „Mäßigung“ der antiken griechischen Philosophie - „Warum zeigen sich die [menschlichen] Unzulänglichkeiten im Widerspruch zu den Postulaten?“ Woher stammt „das Dunkle“? Drückt sich in ihm die „Unvollkommenheit der menschlichen Gattung“ aus? „Oder steht etwas Übersinnliches dahinter?“ „Gibt es gute und dunkle Mächte? Rein ethische Blickwinkel verkürzen das.“
     Andere Aussagen: „Gott ist nicht faßbar. Dennoch: Auch die dunkelste Seele sehnt sich danach.“ „Wenn man an nichts mehr glauben kann, ist die Welt auch nicht toll.“
     Nur kurz angesprochen wurde die „Spiritualität als verbindendes Element“.
„Toleranz wäre gut. Es gibt Menschen, die sind [hinsichtlich ihrer religiösen Überzeugung] aus Beton.“ Hier kommen die - von den Religionen separat zu betrachtenden - Institutionen ins Spiel. Deren Ablehnung sei verständlich. Es handle sich um Organisationen, „mit allen menschlichen Fehlern behaftet“. Vieles sei im Laufe der Zeit verfälscht und verwässert worden*. Hier müsse man „ausmisten“.
   In den immer sachlichen und z.T. erfreulich persönlich gehaltenen Beiträgen kamen beeindruckende Erfahrungen mit der Institution Kirche auf den Tisch. Die Kindheit wurde ihr - so eine Teilnehmerin - gestohlen. Sie führte ein Leben voller Angst vor Strafe. Auch ein anderer Teilnehmer hatte unter religiösen Ritualen („Ich bin nicht würdig!“) zu leiden. So etwas beeinflußt das Leben bis hin zu Eheschließung und Kindererziehung. „Man braucht sehr lange, da rauszukommen.“ „Jahre und Jahrzehnte!“ „Das ist eine Lebensaufgabe.“
    WAS TUN? Bildung ist wichtig. Was aber ist Bildung? „Herzensbildung, von der niemand mehr spricht?“
     „Bewußtseinsveränderung ist das Wichtigste: Umwelt, Frieden, Menschenliebe, ...“. „Ein Kind kann es haben, der Professor nicht.“ Bewußtseinsveränderung durch Impulse: in der Familie, der Clique, ... Aber man muß auch innerlich aufnahmefähig sein. „Jugendliche nehmen vielleicht von den Eltern nichts an, sehen es erst später ein.“Dennoch müssen die E l t e r n den Kindern die Werte nahebringen. Schulen reichen nicht, „Schulen sind auch Institutionen“.
     Was ist Bildung? Ästhetische Bildung, Gefühlsbildung zählen ebenfalls dazu.
Aus meiner Sicht blieben - natürlich - Fragen offen. Die Eingangsfrage z.B. wurde nicht abschließend geklärt. Wenn die Vorschriften und Rituale von Religionen für viele Menschen eine verläßliche Orientierung darstellen, oft genug aber negative Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung haben, von denen man sich in einem lebenslangen Prozeß „befreien“ muß - spricht das nicht wieder für die vom Dalai Lama geforderte säkulare Ethik?
     Oder wie könnte man Religionen von den erwähnten „Verfälschungen“ reinigen? Kann man die Institutionen reformieren, die Rituale entschärfen? Was schlägt der Dalai Lama vor, was man tun solle?
     Wir einigten uns - völlig unabhängig von diesen meinen Fragestellungen - auf eine Fortsetzung des Themas beim nächsten Treffen.



 Vorschau 11.Nov. 2016                   Jessica Schwark                             

 „ Gewalt war gestern“- auf der Suche nach einer globalen Ethik im 21. Jahrhundert
 
Ausgehend von der Schrift „ Ethik ist wichtiger als Religion“, die anlässlich des 80. Geburtstages
des Dalai Lamas am 06.07.2015 veröffentlicht wurde, widmen wir uns der Frage: Wie kann die
Menschheit die großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts bewältigen?
Klimawandel, Flucht und Vertreibung, Kriege, auch im Namen der Religionen, sowie die gerechte
Verteilung von Wasser und Nahrung stellen die globalisierte Welt vor große Herausforderungen.
Politische, soziale und religiöse Differenzen, wohin das Auge schaut.
Welche Regeln, Sicht- und Verhaltensweisen können der „ Familie der Menschheit“ helfen?
Was verbindet die Menschheit?
Welche Inhalte könnte eine globale Ethik haben?