Sonntag, 25. September 2016


Nachschau 2.9.2016: Europäische Werte          Christian Brehmer           


Unsere Runde im Atelier Pentzeck war wieder gut besucht. Roswitha und Dieter sei nochmals gedankt für ihre Gastfreundschaft in ihrem künstlerischen Ambiente. Gedankt sei ihnen auch für das tiefsinnige Paper, das wir von ihnen zu unserem Thema ausgehändigt bekamen: „Gedanken an die Kultur Europas zum internationalen Projekt Deutschland/Lettland ´Bilder im Fluss`." Gedanken, die u.a. geprägt wurden vom Terror des 2. Weltkriegs. Auch jetzt  sind wir wieder bedroht von Terror, viel hat sich nicht geändert. „Doch vielleicht kann sich der Mensch selbst ändern“, fragen sich die Autoren. Und da sind sie auf einer Linie mit Gandhi: „Du selbst bist die Veränderung, die du dir erwünscht von dieser Welt.“ Wir müssen bei uns selbst anfangen. Unsere gemeinsame Meditation zum Beginn unserer Philrunden soll eine Inspiration und ein Beginn sein.

   Der chinesische Philosoph Konfuzius sagte etwa 500 v.Chr.: „Die Männer des Altertums, die dem ganzen Reich ein Beispiel der Tugend sein wollten, brachten zuerst ihr eigenes Fürstentum in Ordnung. Wollten sie ihr Fürstentum in Ordnung bringen, so ordneten sie erst ihre Familie. Wollten sie zuerst ihre Familie in Ordnung bringen, so kultivierten sie zuerst ihren Charakter. Wollten sie ihren Charakter kultivieren, so läuterten sie zuerst ihr Herz.“

   Der Vernachlässigung dieser Sequenz verdanken wir alles Leiden auf der Erde! Tief im geläuterten Herzen finden wir die Werte, auf die unsere eigene Leitkultur und die Europas aufbauen.

   Doch da ist das Problem der Umsetzung. Wir sind einer biologischen Determination ausgeliefert, so der Einwand eines  Diskussionsteilnehmers. -  Hat denn die europäische Union  dauerhaften Frieden gebracht? „Die Jugoslawienkriege von [1991 bis 2001] konnte sie nicht verhindern. -  Zunehmende Spannungen zwischen Nord- und Südeuropa zeigen sich seit der Eurokrise (Beispiel Griechenland, aber auch Spanien, Portugal, ...). - Die Flüchtlingskrise offenbart starke Differenzen zwischen West- und Osteuropa. -  Die EU-Osterweiterung (Hand in Hand mit der NATO-Osterweiterung) bis an die Grenze Russlands stellt möglicherweise eine große Gefahr für den Frieden in Europa dar.“ So die Argumentation eines Teilnehmers. Und mit dem wieder Aufleben des Nationalismus, ausgelöst u.a. durch die Flüchtlingskrise, wurde sogar von einer Regression gesprochen. Alles durch die Vernachlässigung der konfuzianischen Sequenz!?   

Am "Tag der guten Tat" am 8.September hat sich die Philrunde Melle auch wieder eingebracht. Wir wollen ja nicht nur philosophieren sondern auch "implementieren". Frei nach dem Motto: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Von einer Meditation am Sterbebett unserer hochgeachteten, und für ihre profunden Beiträge in unseren Gesprächen unvergesslichen Maria Beisel, Mitinitiatorin unsere Philrunde, war die Rede (Trauerfeier am 29.9., 13.30. Uhr, im Bestattungshaus, Johann-Uttinger-Str. 2, 49324 Melle). Von der Rede war aber auch der Betreuung von Flüchtlingen, von Sprachunterricht und Behördengängen. Einige von uns sind eher zurückhaltend, um von ihren selbverständlichen Hilfeleistungen zu sprechen.   


Vorschau 7.10. 2016                     Klaus Burghardt
Dalai Lama: Ethik ist wichtiger als Religion

  »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“
Wie kommt ein Religionsführer zu einer solchen Aussage? Was kritisiert er an Religionen? Was soll sie ersetzen?
„ Alle Religionen (...) bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“ Und: »Ethik ist wichtiger als Religion. Wir kommen nicht als Mitglied einer bestimmten Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren.«

WAS MACHT DIESE ETHIK AUS? 
* „Achtsamkeit, Bildung, Respekt, Toleranz, Fürsorge und Gewaltlosigkeit.“ 
* „eine in uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung“
*„Mehr Achtsamkeit gegenüber allem Leben, auch gegenüber Tieren und Pflanzen.“
* Die säkulare Ethik soll auch für Atheisten und Agnostiker „hilfreich und brauchbar“ sein.
             „Dabei möchte ich keine moralischen Werte diktieren – das würde niemandem nutzen.“ „Deshalb halte ich Ethik nicht für die Summe von Geboten und Verboten, die es zu befolgen gilt, sondern für ein natürliches, inneres Angebot, das uns zu Glück und Zufriedenheit mit uns selbst und mit anderen führen kann.“ 

Der Mensch soll sich einmischen, Verantwortung übernehmen. Es geht um globale und grundlegende Probleme:
Umweltzerstörung, Klimawandel, das Risiko eines selbstmörderischen Atomkriegs, Überwindung von Egoismus, Nationalismus, Gewalt. Gewaltfreiheit ist „intelligente Feindesliebe“, Dialog ist die einzig sinnvolle Methode zur Lösung von Konflikten. „Außer in seltenen Ausnahmefällen führt Gewalt immer zu neuer Gewalt. Krieg ist in unserer vernetzten Welt nicht mehr zeitgemäß und widerspricht der Vernunft und der Ethik.“ „Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen.“ „Waffenexporte sind ein großes Hindernis für mehr Frieden.“
        „Abrüstung ist praktiziertes Mitgefühl. Voraussetzung einer äußeren Abrüstung ist allerdings eine innere Abrüstung von Hass, Vorurteilen und Intoleranz.“

WAS IST ZU TUN?
„Für eine weltweite säkulare Ethik bedarf es freilich noch weltweiter Forschung. Darüber bin ich mir mit vielen Wissenschaftlern einig, vor allem mit Hirnforschern, Neuropsychologen und Pädagogen. Die moderne neurobiologische Forschung legt nahe, dass sich altruistisches und weniger egoistisches Verhalten für a l l e lohnt.“
„Sicher ist jedoch, dass eine säkulare Ethik eine Schulung des Herzens, viel Geduld und ausdauerndes Bemühen erfordert. Und klar ist auch, dass eine wirklich hilfreiche säkulare Ethik nicht nur eine Frage des Wissens ist, sondern noch mehr eines Frage des Handelns. Wir wissen ja oft, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen.“
„Ich schlage vor: mehr zuhören, mehr nachdenken, mehr meditieren.“ „Wir müssen also nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und forschen, forschen, forschen.“
„Ich blicke mit Freude dem Tag entgegen, an dem Kinder in der Schule die Grundsätze der Gewaltlosigkeit und der friedlichen Konfliktlösung, also der säkularen Ethik, lernen.“ „Es gibt viele Möglichkeiten, die Welt zu verbessern, ein Umdenken zu bewirken: (...) Ich denke, dass wir dies hauptsächlich durch Bildung erreichen können.“
    
           „Durch intensives Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten
 Freunde werden können.“
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säkular: „weltlich, der Welt der (kirchlichen) Laien angehörend“ (duden.de)

Agnostiker = „Weltanschauung, nach der die Möglichkeit einer Existenz des Göttlichen bzw. Übersinnlichen rational nicht zu klären ist, also weder bejaht noch verneint wird“ (duden.de)


DER APPELL DES DALAI LAMA FÜR EINE SÄKULARE
ETHIK UND FRIEDEN

Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Religionen waren
und sind oft intolerant. Um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, wird Religion oft
missbraucht oder instrumentalisiert – auch von religiösen Führern. Deshalb sage ich, dass wir im 21.
Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen. Ich spreche von einer säkularen Ethik, die
auch für über eine Milliarde Atheisten und für zunehmend mehr Agnostiker hilfreich und brauchbar ist.
Wesentlicher als Religion ist unsere elementare menschliche Spiritualität. Das ist eine in uns Menschen
angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon, welcher Religion wir angehören.
Nach meiner Überzeugung können Menschen zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte,
nicht ohne Ethik. Der Unterschied zwischen Ethik und Religion ähnelt dem Unterschied zwischen Wasser
und Tee. Ethik und innere Werte, die sich auf einen religiösen Kontext stützen, sind eher wie Tee. Der Tee,
den wir trinken, besteht zum größten Teil aus Wasser, aber er enthält noch weitere Zutaten – Teeblätter,
Gewürze, vielleicht ein wenig Zucker und – in Tibet jedenfalls – auch eine Prise Salz, und das macht ihn
gehaltvoller, nachhaltiger und zu etwas, das wir jeden Tag haben möchten. Aber unabhängig davon, wie der
Tee zubereitet wird: Sein Hauptbestandteil ist immer Wasser. Wir können ohne Tee leben, aber nicht ohne
Wasser. Und genau so werden wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach
Mitgefühl – und nicht ohne das Grundbedürfnis nach Wasser.
Ich sehe immer deutlicher, dass unser spirituelles Wohl nicht von der Religion abhängig ist, sondern der uns
angeborenen menschlichen Natur, unserer natürlichen Veranlagung zu Güte, Mitgefühl und Fürsorge für
andere entspringt. Unabhängig davon, ob wir einer Religion angehören oder nicht, haben wir alle eine
elementare und menschliche ethische Urquelle in uns. Dieses gemeinsame ethische Fundament müssen wir
hegen und pflegen. Ethik, nicht Religion, ist in der menschlichen Natur verankert. Und so können wir auch
daran arbeiten, die Schöpfung zu bewahren. Das ist praktizierte Religion und praktizierte Ethik. Das
Mitfühlen ist die Basis des menschlichen Zusammenlebens. Es ist meine Überzeugung, dass die menschliche
Entwicklung auf Kooperation und nicht auf Wettbewerb beruht. Das ist wissenschaftlich belegt.
Wir müssen jetzt lernen, dass die Menschheit eine einzige Familie ist. Wir alle sind physisch, mental und
emotional Brüder und Schwestern. Aber wir legen den Fokus noch viel zu sehr auf unsere Differenzen anstatt
auf das, was uns verbindet. Dabei sind wir doch alle auf dieselbe Weise geboren und sterben auf dieselbe
Weise. Es ergibt wenig Sinn, mit Stolz auf Nation und Religion auf dem Friedhof zu landen!
Ethik geht tiefer und ist natürlicher als Religion.
Auch der Klimawandel ist nur global zu lösen. Ich hoffe und bete, dass diese Erkenntnis auf dem nächsten
Klimagipfel in Paris Ende 2015 endlich zu konkreten Ergebnissen führt. Egoismus, Nationalismus und
Gewalt sind der grundsätzlich falsche Weg. Die wichtigste Frage für eine bessere Welt heißt: Wie können wir
einander dienen? Dafür müssen wir unser Bewusstsein schärfen. Das gilt auch für Politiker. Wir benötigten
positive Geisteszustände. Ich übe das täglich vier Stunden. Meditation ist wichtiger als ritualisierte Gebete.
Kinder sollten Moral und Ethik lernen. Das ist hilfreicher als alle Religion.
Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen. Diesen geben wir zu viel Raum
und unserem Verstand und unserem Mitgefühl zu wenig.
Ich schlage vor: Mehr zuhören, mehr nachdenken, mehr meditieren. Mit Mahatma Gandhi meine ich: »Wir
müssen selbst die Veränderung sein, die wir in der Welt zu sehen wünschen.«
In einigen totalitären Ländern sehen wir, dass Frieden nur von Dauer sein kann, wenn die Menschenrechte
respektiert werden, wenn die Menschen zu essen haben und wenn der Einzelne und die Völker frei sind.
Wahren Frieden mit uns, zwischen uns und um uns herum können wir nur durch inneren Frieden erlangen.
Zum Glück gehört die Entwicklung einer universalen Verantwortung und einer säkularen Ethik.
Ich werde immer an der Gewaltfreiheit festhalten. Das ist intelligente Feindesliebe. Durch intensives
Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten Freunde werden können. Aus der Perspektive
einer rein säkularen Ethik werden wir so zu gelasseneren, mitfühlenderen und urteilsfähigeren Menschen.
Dann haben wir auch die Chance, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Friedens, ein Jahrhundert des
Dialogs und ein Jahrhundert einer fürsorglicheren, verantwortungsvolleren und mitfühlenderen Menschheit
wird.
Das ist meine Hoffnung. Und das ist mein Gebet. Ich blicke mit Freude dem Tag entgegen, an dem Kinder in
der Schule die Grundsätze der Gewaltlosigkeit und der friedlichen Konfliktlösung, also der säkularen Ethik,
lernen.
Den materiellen Werten wird heute zu viel Bedeutung beigemessen. Sie sind wichtig, aber sie können
unseren psychischen Stress, unsere Furcht, Wut oder Frustration nicht verringern. Wir müssen jedoch unsere
mentalen Belastungen, wie zum Beispiel Stress, Ängste, Frustrationen, überwinden. Deshalb brauchen wir
eine tiefere Ebene des Denkens. Das verstehe ich unter Achtsamkeit.
Durch Meditation und Nachdenken können wir zum Beispiel lernen, dass Geduld das wichtigste Gegenmittel
gegen die Wut ist, Zufriedenheit gegen Gier wirkt, Mut gegen Angst, Verständnis gegen Zweifel. Zorn über
andere hilft wenig, stattdessen sollten wir dafür sorgen, dass wir uns selbst ändern.
Jetzt scheint der Mensch etwas an Reife zu gewinnen. Das Bedürfnis nach Frieden bzw. die Ablehnung von
Gewalt ist sehr stark. Wir müssen weltweit Anstrengungen unternehmen, alle gewalttätigen Methoden zu
stoppen, einzudämmen oder abzuschaffen. Jetzt reicht es nicht mehr aus, den Menschen zu sagen, dass wir
Gewalt ablehnen und Frieden wollen.
Wir müssen wirksamere Methoden anwenden. Waffenexporte sind ein großes Hindernis für mehr Frieden.
Wann immer wir auf Probleme stoßen oder wirtschaftliche Konflikte entstehen, aber auch in Fällen von
religiösen Differenzen, müssen wir darauf hinwirken, dass die einzig wahre Methode der Dialog ist.
Wir müssen lernen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Das letzte Jahrhundert war das Jahrhundert
der Gewalt. Unser 21. Jahrhundert sollte das Jahrhundert des Dialogs sein! Die Vergangenheit können wir
niemals ändern, aber wir können immer lernen für eine bessere Zukunft.
Die Vorstellung, Probleme seien mit Gewalt und Waffen zu lösen, ist ein verheerender Irrglaube. Außer in
seltenen Ausnahmefällen führt Gewalt immer zu neuer Gewalt. Krieg ist in unserer vernetzten Welt nicht
mehr zeitgemäß und widerspricht der Vernunft und der Ethik. Der Irak-Krieg, den George W. Bush 2003
begann, war ein Desaster. Dieser Konflikt ist bis heute nicht gelöst und hat viele Menschen das Leben
gekostet.
Es reicht freilich nicht, nur an den Friedenswillen der Politiker zu appellieren. Wichtiger ist, dass sich immer
mehr Menschen auf der ganzen Welt zur Abrüstung bekennen. Abrüstung ist praktiziertes Mitgefühl.
Voraussetzung einer äußeren Abrüstung ist allerdings eine innere Abrüstung von Hass, Vorurteilen und
Intoleranz. Ich appelliere an alle aktuellen Kriegsparteien: »Rüstet ab und nicht auf!«, und an alle Menschen:
»Überwindet Hass und Vorurteile durch Verständnis, Kooperation und Toleranz!«
Trotz allen Leids, das China uns Tibetern seit Jahrzehnten zufügt: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die
meisten menschlichen Konflikte durch aufrichtigen Dialog gelöst werden können. Diese Strategie der
Gewaltfreiheit und der Ehrfurcht vor allem Leben ist das Geschenk Tibets an die Welt.
Dalai Lama
Dharamsala, im März 2015
Entnommen dem Buch „DER APPELL DES DALAI LAMA AN DIE WELT - Ethik ist wichtiger als Religion“,
Erste Auflage 2015, © 2015 Benevento Publishing