Donnerstag, 18. Februar 2016



Nachlese  5.2. 2016                                                           

Ein Abend mit Professor  R. Mokrosch  über Fragen zum „Weltethos“  Jürgen Staas

Kann es eine globale, internationale, überregionale,  interreligiöse Ethik überhaupt geben?  Wäre sie vorwiegend westlich,  durch Vernunft und Aufklärung bestimmt?   Welche Rolle würden östliche Traditionen spielen?  Müssten Religionen  Verluste ihrer typischen Ausprägungen hinnehmen, d.h.  würde ein solches übergeordnetes Ethos ihnen die Spitze abbrechen, sie entkernen?    Wie steht es um die  Verbindung oder Trennung von Religion und Staat?  Welche Rolle spielen  Prinzipien wie das der Gleichheit oder der Würde der  individuellen Person?  Oder das  der allgemeinen  Bildung ?.  Schon dieser Fragenkatalog zeigt die ganze Komplexität der Thematik auf.  - Der Referent  nahm dann eine Differenzierung der  Orientierungsbereiche vor, d.h. er unterschied  Normen, Werte und Tugenden.  Normen etwa werden durch Gebote und Verbote gesetzt. Werte sind  z.B.  Freiheit, Meinungsfreiheit, Autonomie,  Gerechtigkeit, Gleichberechtigung,  Recht auf Bildung.  Und Tugenden sind Dinge wie  Anstand, Respekt,  Disziplin,  Sensibilität,  Empathie,  Mitleid.  Was sollte maßgebend sein?  Die Diskussion ergab, dass die drei  Orientierungsbereiche keine Alternativen sein können, sondern alle  Bestandteile einer universellen Ethik sein müssten.  Es wurde auf  Hans Küngs „Weltethos“ verwiesen und auf das Weltparlament der Religionen von 1993.   Ein Minimalkonsens könnte die sog.  „Goldene Regel“ sein, wie sie im  Matthäusevangelium  formuliert ist,  oder Kants  „kategorischer Imperativ“?   Der  Volksmund drückt die Idee negativ aus:  „Was du nicht willst, dass man dir tue...“   -   Das Humanum, die Menschlichkeit,  sollte allgemeine Richtschnur sein, Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem Leben, wie sie Albert Schweitzer vertrat.  Im Prinzip schließt diese Richtschnur die Todesstrafe aus. Die Realität zeigt sofort, wie schwierig sich die Akzeptanz darstellt.   Gilt die Achtung vor dem Leben auch gegenüber Pflanzen und Tieren?  Wie weit kann oder sollte Achtsamkeit gehen?   Wie steht es um  Prinzipien wie Solidarität  und  faires Wirtschaften?   Eigentum verpflichtet.  Was ist ein gerechtes Steuersystem?  Kein Friede ohne Gerechtigkeit!   Gerade  betont eine Stimme, das Problem  Israel/Palästina sei unlösbar.   -  Toleranz und Wahrhaftigkeit  wurden angesprochen.  Der aktuelle Streit um  objektive Berichterstattung und „Lügenpresse“  macht die Problematik  der Medien in  Kunst,  Literatur und Politik  deutlich. - Die Kultur der  gleichberechtigten Partnerschaft von Mann und Frau  sollte im Idealfall „schöpferisch“ sein.   -

Kritische  Diskussionspunkte:  Im Prinzip sind alle  dargestellten  Idealvorstellungen ja unstrittig.  Im  immer noch christlich  geprägten, aber aufgeklärten,  mehr oder weniger säkularisierten und demokratisch und rechtsstaatlich  verfassten „Westen“  sind sie ja auch  weitgehend verwirklicht.  In archaischen,  nationalistischen  und religiös fanatisierten  Gesellschaften ist das Gegenteil zu beobachten.  Welche Fehlfunktionen sind hier am Werk? Welchen Anteil hat daran die  „menschliche Natur“?   Gibt es sie überhaupt noch? Hier streiten sich  soziologische und biologische  Denkrichtungen.   Eine fundierte, realistische Anthropologie,  Ergebnisse von  Genetik, Hirn- und Verhaltensforschung  könnten bei der  Ursachenforschung  hilfreich sein.  Ebenso  bis zu einem gewissen Grade fernöstliche  Praktiken wie  Meditation und Yoga, die in die Stille führen.  Aber wie könnten sie weitere Verbreitung finden? 

Abschließend  summierte der Referent  selbst noch in aller Kürze die  Einwände gegen das dargestellte „Weltethos“:   das Humane generell gibt es nicht,  ebenso wenig  die Menschheit als ein Subjekt  oder als ein Weltgewissen.  Es gibt nur einzelne Menschen,  die nicht nur vernunftgesteuert sind.  Die Diskrepanz von Wissen und Tun wird durch keine  Kultur oder Religion aufgehoben.  Das religiöse Verständnis ist  extrem unterschiedlich,  so entstehen ebenso extreme Grenzsituationen.  Eine einheitliche Weltgesellschaft ist nicht vorstellbar, ebenso wenig der Gedanke, dass sich alle Kulturen auf eine Abstraktum  verpflichten ließen. -  Die Problematik der Wahrheitsfrage  blieb offen und bildet das nächste Thema.                     sts

Vorschau 4.3.2016
         "Was ist Wahrheit?" (Pilatusfrage Joh. 18,38)             Jürgen Staas

Bibelzitate: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. (Joh. 4,24) - Die Wahrheit wird euch frei machen. (Joh. 8,32) - Die Liebe freut sich aber der Wahrheit. (1. Kor. 13,6) - Wir vermögen nichts wider die Wahrheit. (2. Kor. 13,8)

Philosophie: Ihre Gegenstände sind das Wahre, Gute und Schöne. Mit dem Guten befasst sich die Ethik, mit dem Schönen die Ästhetik und mit dem Wahren die Erkenntnislehre oder Epistomologie.
(gr. Episteme = Kenntnis/Erkenntnis. Engl. Theory of knowledge, frz. Théorie de la connaissance).

Verbreiteste Definition der Wahrheit liefert die Theorie der Übereinstimmung oder "Korrespondenz", nämlich der Aussage mit dem Sachverhalt. Es gibt
-  axiomatische, also unmittelbar evidente Wahrheiten, mathematische
-  naturwissenschaftliche Wahrheiten, induktiv, durch Experimente nachweisbar
- Erkenntnisse aus menschlichen Erfahrungen, biographische, historische
-  religiöse Wahrheiten, aus Offenbarungen, heiligen Schriften
- Wahrheiten aus Kunst, Literatur, Mythos, oft auf latenter Ebene.

Probleme der Wahrheitsfindung bzw. der Authentizität:
Subjektivität/ Objektivität; Überzeugungen; Interessengeleitete Erkenntnisse; Urteile/ Vorurteile;
Beweisbarkeit; Verifizierung/Falsifizierung bzw. Vorläufigkeit (cf. K. Popper).  

Haltungen zum Wahrheitsproblem:
Kritizismus / Skeptizismus / Empirismus / Dogmatismus / Induktion - Deduktion; Interpretation, Hermeneutik, Exegese etc.
 
Was ist Wahrheit?                                  Christian Brehmer
Der unkontrollierte Geist kann den wahren Sachverhalt der Dinge nicht erkennen.“   Dalai Lama          
In der Nachlese zur letzten Philrunde  finden wir viele offene Fragen, und in der Vorschau auf die kommende  Runde viele unterschiedliche  Aspekte der Wahrheit. Die Wahrheit  an sich ist dem Menschen offensichtlich nicht zugänglich.  Es gibt nur Annäherungen an die Wahrheit. Und eine Annäherung  ist – so der Dalai Lama – den Geist zu „kontrollieren“, d.h.  sich seiner Gedanken bewusst  werden.  Bewusstsein fördert  zum einen eine Versachlichung der Subjektivität und zum anderen eine klare Gedankenführung,  dient  also der der Erkenntnis des  Sachverhaltes. Und Bewusstsein an sich – die gedankliche Stille – ist intuitive Wahrheit.
Die Analogie des Spiegelbildes auf einer Wasseroberfläche mag hier dem Verständnis dienen. Ist die Wasseroberfläche unruhig mit vielen Wellen, ist das Bild verzerrt. Ist die Wasseroberfläche hingegen ruhig kann sie als reiner Spiegel dienen. –  Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis: Sind die Gedanken unruhig und unkontrolliert, ist die Erkenntnis verzerrt.  Sind die Gedanken ruhig und das Bewusstsein klar,  entspricht  die Erkenntnis dem Sachverhalt.