Donnerstag, 8. Dezember 2016

Dialog nach David Bohm



Nachschau  2.12.2016 : Was macht Menschen empfänglich für Ideologien?                                             Klaus Burghardt,  Christian Brehmer       

 Einleitend wurde das Positionspapier (s. Vorschau) mit Anmerkungen vom Verfasser/ Referenten vorgetragen.
Es gab reichlich, z.T. kontroversen Gesprächsstoff. Ist es doch die Frage "warum?", die nicht nur Kinder, sondern insbesondere Philosophen herumtreibt. Die Reflexion steht am Anfang aller Philosophie. Sie kommt zu kurz in unserer schnelllebigen Zeit, oftmals mit fatalen Folgen. Das sehen wir am aufflammenden Nationalismus in der Weltpolitik: Trump, Front National, Polens Regierung, Brexit, Erdogan, AfD um nur einige Reizworte zu nennen. Sie zehren von unreflektierten Ideologien. Und gleichfalls unreflektierte Emotionen sind es, welche die Menschen dafür empfänglich machenDie Realität wird verzerrt, die Menschen leiden.
Als eine mögliche Ursache für den Erfolg rechter Bewegungen wurde die Angst vor der Globalisierung genannt. Ob die Globalisierung  nicht selbst eine Ideologie sei, fragte ein Teilnehmer kritisch. Zu bedenken sei auch, so eine weitere Position, dass die Hinwendung zu rechten Parteien eine Reaktion der Menschen darauf sein könne, dass sie sich von der offiziellen Politik im Stich gelassen und nicht ernst genommen fühlten. Die gute wirtschaftliche Entwicklung komme bei vielen Menschen nicht an. Eine unsichere soziale Lage, prekäre Arbeitsverhältnisse*, Abstiegsängste, ungerecht erscheinende Einkommens- und Vermögensverteilung**, ... dazu politische Entscheidungen, die den Einstellungen vieler Bürger entgegenliefen führten zu einer „Jetzt-sind-wir es-leid“-Haltung.
Sind unpopuläre Maßnahmen von (oftmals der neoliberalen Ideologie anhängenden?!) Politikern notwendige Folge der Globalisierung oder wird Letztere als Vorwand für eben jenes politische Handeln genutzt? Die Frage bleibt (natürlich) offen.
Auch das folgende Problem wurde nur kurz angerissen:
Wir können uns bestimmten Ideologien gegenüber (Freie Marktwirtschaft, Jeder ist seines Glückes Schmied, ...) kaum behaupten, so eine These. Von klein an beeinflußt (Eltern, Schule, Ausbildung, ..., später kommen Werbung und Medien hinzu) ist es sehr mühsam, sich z.B. durch Nutzung alternativer Informationsquellen eigenständige Positionen zu erarbeiten.
Die Anfälligkeit für Ideologien, so die wiederholte Meinung, sei Folge von Mangel an Reflexion.  Zur Behebung der Schwierigkeiten müsse man beim Individuum ansetzen. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ (Albert Einstein) Es gehe also darum, zu einer neuen Denkweise, einem neuen Erkenntnismodus, einem neuen Bewußtseinsmodus zu gelangen. 
Hierbei könne die Meditation helfen: Das logisch-diskursive Denken werde durch rekursives Denken, durch Lenkung der Aufmerksamkeit nach innen, ergänzt. „Das Denken des Nichtdenkens“ (Aristoteles), die Stille, führe den Menschen zur Sophia, zur Weisheit.
Gegen Ende des Treffs wurde das Thema „Kollektivbewußtsein“ angesprochen und zu einem der möglichen Themen im nächsten Jahr gekürt.
_______________________________
Folgende Zahlen wurden u.a. genannt:
*
- Rund 39 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland waren 2015 in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs tätig.
- 7,02 Millionen Menschen leben von Arbeitslosengeld oder Hartz-IV-Leistungen
- Diejenigen, deren Löhne kein Tarifvertrag mehr regelt - das ist inzwischen jeder zweite -, verdienen heute 18 Prozent weniger als im Jahr 2000.
**
- Noch 1970 gehörten dem reichsten Zehntel der deutschen Gesellschaft 44 Prozent des gesamten Volksvermögens. 2012 gehören ihm über                 66%.
- Die Einkommensungleichheit ist heute deutlich höher als noch vor gut 20 Jahren.
- Innerhalb der Eurozone ist Deutschland das Land mit der zweithöchsten Vermögensungleichheit. 



 Vorschau 6.1.2017: Dialogführung nach David Bohm mit dem Thema "Was ist Spiritualität"?         Klemens Speer
  
Das Buch "Der Dialog" des Physikers und Philosophen David Bohm (1917 -
1992) ist 1998 aus seinem Nachlass erschienen. (Bohm wurde insbesondere
bekannt durch sein Buch "Die implizite Ordnung") "Der Dialog" war sein
Versuch eine Antwort auf die damalige gesellschaftliche Situation in den
70er und 80er Jahren zu finden. Sie war geprägt von der zum Teil
fundamentalistischen Position der Grünen im Verlauf der Gründung der
Grünen Partei und der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der Roten
Armee-Fraktion. Zu der Zeit schlugen in der politischen
Auseinandersetzungen über die Presse in der Gesellschaft hohe Wellen.
Diese Zeit ist im gewissen Sinne vergleichbar mit der heutigen
Diskussion um das Thema Flüchtlinge und die Terroraktionen im Namen der IS.

Der Beitrag Davis Bohms durch sein Buch zielte auf eine Versachlichung
der politischen Auseinandersetzung. Ein zentraler Aspekt seines
Vorschlags war, alle gesellschaftlichen Gruppen an einen Tisch zu
bringen. Er schlug Gruppenbildungen von 30 bis 40 Personen vor, die
mindesten über einen Jahr hinweg sich regelmäßig zu einem Dialog
zusammensetzen. In seinem Buch hat er die Bedingungen diskutiert und
vorgestellt, auf die sich alle Gruppenmitglieder vorher einigen müssen,
damit ein solcher Dialog gelingen kann. Der Untertitel seines Buches
lautet daher: "Ein offenes Gespräch am Ende der Diskussionen". Es geht
ihm also um eine Diskussion, die in die Tiefe geht und weit über eine
Ping-Pong-Diskussion hinaus weist, (die oft eher die Positionen
verschärft, statt Lösungen zu finden), um zu einem wirklichen Kern für
eine Verständigung vorstoßen zu können.

Auf der Grundlage dieses Buches sind von mir Spielregeln für einen
"meditativen, achtsamen Dialog" herausgearbeitet worden, der
insbesondere für Übungsgruppen (aus dem Bereichen Yoga, Taiji, Qigong,
Zen, Kontemplation, Achtsamkeit und Meditation) gedacht ist, aber auch
für philosophische Gesprächskreise geeignet ist. Bohms Spielregeln sind
beibehalten worden, jedoch noch um ein paar spezielle meditative Aspekte
ergänzt worden.

An diesem Abend sollen diese Spielregeln vorgestellt werden und an Hand
der Spielregeln, am Beispiel des Themas "Was ist Spiritualität?", ein
Dialog in der teilnehmenden Gruppe geführt werden. Nur so kann erfahren
werden welche Ergebnisse erzielt werden können, wenn man nach diesen
Spielregeln in einer Gruppe zu einem Thema in Kontakt tritt und sich
auseinander setzt. Ein spannender Prozess, in dem das Ergebnis immer
offen ist.

Mittwoch, 23. November 2016


Nachschau  11. Nov. 2016                                         Christian Brehmer   

Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion

Der Appell wurde als Vorbereitung zu unserer Philrunde am 7.10. bereits im vollen Wortlaut in unseren Blog gesetzt. Unsere Referentin hatte die Kernaussagen in einem Thesenpapier einleitend vorgetragen. Sie hob einen entscheidenden Satz des Dalai Lama hervor: „Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe.“ Das gab Anlass zur Besinnung. An anderer Stelle sagt der Tibeter: „Durch intensives Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten Freunde werden können“. Tatsächlich berühren wir in der Tiefe der Meditation einen Grund, der uns alle miteinander verbindet und aus dem Verständnis und Mitgefühl erwächst.

    Es wurde der Einwand eingebracht, dass der Feindesliebe die biologisch gegebene Natur des Menschen entgegensteht. Apostel Paulus: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Römer 7,19) An anderer Stelle sagt er wiederum: „…ist jemand in Christo ist er eine neue Kreatur.“ (2. Kor. 5,17) Der neue Mensch erwächst aus der Christusstille, die wir in der Meditation erfahren können.

    Ein weiterer Beitrag betonte die Menschenbildung, die Entwicklung des Ideals des Menschlichen. Hier sind Familie, Schule und Kirche gefordert. Alsdann: Religionen sollte man nicht aufgeben.  Sie sollten  sich aber einem Update unterziehen und sich mit der universellen Ethik  abgleichen. Kriege werden mehr aus wirtschaftlichen Überlegungen geführt als aus religiösen Gründen.

   Die Diskussion war lebhaft, aber die Reflexionsrunde nach der Entspannungsmusik  war besinnlich. „Eigentlich ist die Musik ein Medium, das alle Menschen eint und gleichermaßen anspricht“, so ein Kommentar.       
 
Vorschau 2. Dez. 2016                          Jürgen Staas                      
  
Was macht den Menschen empfänglich für Ideologien?

Der Begriff der Ideologie, zu Napoleons Zeit geprägt,  ist heute etwa Synonym für Weltanschauung.  Ideologien bieten retrospektiv  Erklärungsmuster für die Zustände der bestehenden Welt, ähnlich den Religionen. Der Mensch denkt kausal. Von früh auf will er wissen  „warum?“  Kinder nerven mit dieser Frage, und sie steht auf manchem Grabstein. Ideologien haben aber auch eine utopische Dimension. Sie wollen Orientierung geben hinsichtlich künftiger Entwicklungen bzw. notwendiger sozialer Veränderungen. Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt erklärt. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“  So münden Ideologien  in evolutionäre oder revolutionäre Bewegungen. Ihre Ideen bieten wie der religiöse Glaube Identifikationsmöglichkeiten. Sie provozieren dann aber auch Kritik wie die großen Dystopien des 20. Jahrhunderts.  - Die Liste der Ideologien ist lang:  Liberalismus,  Kapitalismus, Kolonialismus  (Kipling: Take up the white man's burden),  Sozialismus u. Kommunismus (Soziale Gerechtigkeit),  Nationalismus, Faschismus, Nationalsozialismus („Volk ohne Raum“), Rassismus,  Antisemitismus, etc.  Sie tendieren zum Totalitarismus,  die Wirklichkeit wird verzerrt, die Wahrheitsfrage stellt sich gar nicht.  „Ideologen sind scharfe Denker, die sich auch durch Tatsachen nicht beirren lassen.“  Wort des Tages im MK in den 60er Jahren.  Ideologien dienen oft partikularen Interessen u. schaffen verdeckte Herrschaftssysteme. Sie kultivieren Feindbilder.  Schuld sind immer die anderen. Sie entlasten von eigenen Defiziten. - Nach den verheerenden Erfahrungen des 20. Jahrhunderts wurde schon das Ende der Ideologien verkündet. Es bilden sich aber neue. Religionen können zu Ideologien entarten: Islamismus, Fundamentalismus, evangelikale Mega-Churches, wie auch Konfessionen mit ihren absoluten Wahrheitsansprüchen. Sozialistische Ideen wirken fort, weil  „soziale Gerechtigkeit“ anscheinend ein permanent kontroverses Thema ist und bleiben wird.

Fazit:  Das Bedürfnis nach Erkenntnis und Identifikation,  die Suche nach Werten und Orientierungen,  Verführbarkeit und Herdentrieb sowie  Mangel an Kritikfähigkeit sind offenbar die Gründe und Ursachen für die menschliche Anfälligkeit gegenüber Ideologien.  Gegenmittel sind Bildung,  Vermittlung von Kriterien,  Relativierung, Ironie,  Geschichte und Literatur, z.B. Voltaire, Ionesco,  Huxley, Orwell.  Zu Empfehlen: Martin Urban: Warum der Mensch glaubt.  K. Lorenz: Das sogenannte Böse. A. Koestler:  Der Mensch, Irrläufer der Evolution.

Dienstag, 18. Oktober 2016

 Nachschau 7.Okt. 2016                     Klaus Burghardt

 Dalai Lama: Ethik ist wichtiger als Religion
„Will der Dalai Lama alle Religionen abschaffen?“ lautete eine Frage in der Anfangsphase der Diskussion. Es gehe nicht darum, Religionen abzuschaffen - vielmehr sei eine „religionsübergreifende Ethik“ nötig, so eine andere Teilnehmerin.
       Warum brauchen wir Religionen? Was kann Religion, was Ethik nicht kann? Wurde Ethik in der Diskussion doch als „das Verbindende“ bezeichnet. Ethikunterricht z.B. würde den Kindern dieses Verbindende, das, was eine religionsübergreifende Ethik beinhalten sollte, nahebringen - statt das Trennende in den Vordergrund zu stellen, wie es im Religionsunterricht geschieht. Ethik, hieß es z.B., gibt einen Rahmen vor, bietet Begriffe, unter denen allerdings jeder etwas anderes verstehen kann. Ethik sei „verhandelbar“. Eine einheitliche Ethik zu formulieren sei schwierig.
    Religionen bieten demgegenüber Sicherheit, konkrete Vorschriften, Rituale. Angesichts der sehr unterschiedlich verteilten „Herzensbildung“ sei dies für viele Menschen hilfreich. Allerdings: „Wenn man in ein enges Denken eine Erweiterung einbringen will“, könne dies schwierig sein.
    Ethik mangele es an der Fähigkeit, „mein Leben zu tragen“. Religion gebe Antworten auf Fragen wie „Wo komme ich her?“ Der Ethik fehle das Übersinnliche. Die „weisheitliche Richtung“ greife zu kurz. Ob die „Gelassenheit“ der Stoa oder die „Mäßigung“ der antiken griechischen Philosophie - „Warum zeigen sich die [menschlichen] Unzulänglichkeiten im Widerspruch zu den Postulaten?“ Woher stammt „das Dunkle“? Drückt sich in ihm die „Unvollkommenheit der menschlichen Gattung“ aus? „Oder steht etwas Übersinnliches dahinter?“ „Gibt es gute und dunkle Mächte? Rein ethische Blickwinkel verkürzen das.“
     Andere Aussagen: „Gott ist nicht faßbar. Dennoch: Auch die dunkelste Seele sehnt sich danach.“ „Wenn man an nichts mehr glauben kann, ist die Welt auch nicht toll.“
     Nur kurz angesprochen wurde die „Spiritualität als verbindendes Element“.
„Toleranz wäre gut. Es gibt Menschen, die sind [hinsichtlich ihrer religiösen Überzeugung] aus Beton.“ Hier kommen die - von den Religionen separat zu betrachtenden - Institutionen ins Spiel. Deren Ablehnung sei verständlich. Es handle sich um Organisationen, „mit allen menschlichen Fehlern behaftet“. Vieles sei im Laufe der Zeit verfälscht und verwässert worden*. Hier müsse man „ausmisten“.
   In den immer sachlichen und z.T. erfreulich persönlich gehaltenen Beiträgen kamen beeindruckende Erfahrungen mit der Institution Kirche auf den Tisch. Die Kindheit wurde ihr - so eine Teilnehmerin - gestohlen. Sie führte ein Leben voller Angst vor Strafe. Auch ein anderer Teilnehmer hatte unter religiösen Ritualen („Ich bin nicht würdig!“) zu leiden. So etwas beeinflußt das Leben bis hin zu Eheschließung und Kindererziehung. „Man braucht sehr lange, da rauszukommen.“ „Jahre und Jahrzehnte!“ „Das ist eine Lebensaufgabe.“
    WAS TUN? Bildung ist wichtig. Was aber ist Bildung? „Herzensbildung, von der niemand mehr spricht?“
     „Bewußtseinsveränderung ist das Wichtigste: Umwelt, Frieden, Menschenliebe, ...“. „Ein Kind kann es haben, der Professor nicht.“ Bewußtseinsveränderung durch Impulse: in der Familie, der Clique, ... Aber man muß auch innerlich aufnahmefähig sein. „Jugendliche nehmen vielleicht von den Eltern nichts an, sehen es erst später ein.“Dennoch müssen die E l t e r n den Kindern die Werte nahebringen. Schulen reichen nicht, „Schulen sind auch Institutionen“.
     Was ist Bildung? Ästhetische Bildung, Gefühlsbildung zählen ebenfalls dazu.
Aus meiner Sicht blieben - natürlich - Fragen offen. Die Eingangsfrage z.B. wurde nicht abschließend geklärt. Wenn die Vorschriften und Rituale von Religionen für viele Menschen eine verläßliche Orientierung darstellen, oft genug aber negative Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung haben, von denen man sich in einem lebenslangen Prozeß „befreien“ muß - spricht das nicht wieder für die vom Dalai Lama geforderte säkulare Ethik?
     Oder wie könnte man Religionen von den erwähnten „Verfälschungen“ reinigen? Kann man die Institutionen reformieren, die Rituale entschärfen? Was schlägt der Dalai Lama vor, was man tun solle?
     Wir einigten uns - völlig unabhängig von diesen meinen Fragestellungen - auf eine Fortsetzung des Themas beim nächsten Treffen.



 Vorschau 11.Nov. 2016                   Jessica Schwark                             

 „ Gewalt war gestern“- auf der Suche nach einer globalen Ethik im 21. Jahrhundert
 
Ausgehend von der Schrift „ Ethik ist wichtiger als Religion“, die anlässlich des 80. Geburtstages
des Dalai Lamas am 06.07.2015 veröffentlicht wurde, widmen wir uns der Frage: Wie kann die
Menschheit die großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts bewältigen?
Klimawandel, Flucht und Vertreibung, Kriege, auch im Namen der Religionen, sowie die gerechte
Verteilung von Wasser und Nahrung stellen die globalisierte Welt vor große Herausforderungen.
Politische, soziale und religiöse Differenzen, wohin das Auge schaut.
Welche Regeln, Sicht- und Verhaltensweisen können der „ Familie der Menschheit“ helfen?
Was verbindet die Menschheit?
Welche Inhalte könnte eine globale Ethik haben?

Sonntag, 25. September 2016


Nachschau 2.9.2016: Europäische Werte          Christian Brehmer           


Unsere Runde im Atelier Pentzeck war wieder gut besucht. Roswitha und Dieter sei nochmals gedankt für ihre Gastfreundschaft in ihrem künstlerischen Ambiente. Gedankt sei ihnen auch für das tiefsinnige Paper, das wir von ihnen zu unserem Thema ausgehändigt bekamen: „Gedanken an die Kultur Europas zum internationalen Projekt Deutschland/Lettland ´Bilder im Fluss`." Gedanken, die u.a. geprägt wurden vom Terror des 2. Weltkriegs. Auch jetzt  sind wir wieder bedroht von Terror, viel hat sich nicht geändert. „Doch vielleicht kann sich der Mensch selbst ändern“, fragen sich die Autoren. Und da sind sie auf einer Linie mit Gandhi: „Du selbst bist die Veränderung, die du dir erwünscht von dieser Welt.“ Wir müssen bei uns selbst anfangen. Unsere gemeinsame Meditation zum Beginn unserer Philrunden soll eine Inspiration und ein Beginn sein.

   Der chinesische Philosoph Konfuzius sagte etwa 500 v.Chr.: „Die Männer des Altertums, die dem ganzen Reich ein Beispiel der Tugend sein wollten, brachten zuerst ihr eigenes Fürstentum in Ordnung. Wollten sie ihr Fürstentum in Ordnung bringen, so ordneten sie erst ihre Familie. Wollten sie zuerst ihre Familie in Ordnung bringen, so kultivierten sie zuerst ihren Charakter. Wollten sie ihren Charakter kultivieren, so läuterten sie zuerst ihr Herz.“

   Der Vernachlässigung dieser Sequenz verdanken wir alles Leiden auf der Erde! Tief im geläuterten Herzen finden wir die Werte, auf die unsere eigene Leitkultur und die Europas aufbauen.

   Doch da ist das Problem der Umsetzung. Wir sind einer biologischen Determination ausgeliefert, so der Einwand eines  Diskussionsteilnehmers. -  Hat denn die europäische Union  dauerhaften Frieden gebracht? „Die Jugoslawienkriege von [1991 bis 2001] konnte sie nicht verhindern. -  Zunehmende Spannungen zwischen Nord- und Südeuropa zeigen sich seit der Eurokrise (Beispiel Griechenland, aber auch Spanien, Portugal, ...). - Die Flüchtlingskrise offenbart starke Differenzen zwischen West- und Osteuropa. -  Die EU-Osterweiterung (Hand in Hand mit der NATO-Osterweiterung) bis an die Grenze Russlands stellt möglicherweise eine große Gefahr für den Frieden in Europa dar.“ So die Argumentation eines Teilnehmers. Und mit dem wieder Aufleben des Nationalismus, ausgelöst u.a. durch die Flüchtlingskrise, wurde sogar von einer Regression gesprochen. Alles durch die Vernachlässigung der konfuzianischen Sequenz!?   

Am "Tag der guten Tat" am 8.September hat sich die Philrunde Melle auch wieder eingebracht. Wir wollen ja nicht nur philosophieren sondern auch "implementieren". Frei nach dem Motto: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Von einer Meditation am Sterbebett unserer hochgeachteten, und für ihre profunden Beiträge in unseren Gesprächen unvergesslichen Maria Beisel, Mitinitiatorin unsere Philrunde, war die Rede (Trauerfeier am 29.9., 13.30. Uhr, im Bestattungshaus, Johann-Uttinger-Str. 2, 49324 Melle). Von der Rede war aber auch der Betreuung von Flüchtlingen, von Sprachunterricht und Behördengängen. Einige von uns sind eher zurückhaltend, um von ihren selbverständlichen Hilfeleistungen zu sprechen.   


Vorschau 7.10. 2016                     Klaus Burghardt
Dalai Lama: Ethik ist wichtiger als Religion

  »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“
Wie kommt ein Religionsführer zu einer solchen Aussage? Was kritisiert er an Religionen? Was soll sie ersetzen?
„ Alle Religionen (...) bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.“ Und: »Ethik ist wichtiger als Religion. Wir kommen nicht als Mitglied einer bestimmten Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren.«

WAS MACHT DIESE ETHIK AUS? 
* „Achtsamkeit, Bildung, Respekt, Toleranz, Fürsorge und Gewaltlosigkeit.“ 
* „eine in uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung“
*„Mehr Achtsamkeit gegenüber allem Leben, auch gegenüber Tieren und Pflanzen.“
* Die säkulare Ethik soll auch für Atheisten und Agnostiker „hilfreich und brauchbar“ sein.
             „Dabei möchte ich keine moralischen Werte diktieren – das würde niemandem nutzen.“ „Deshalb halte ich Ethik nicht für die Summe von Geboten und Verboten, die es zu befolgen gilt, sondern für ein natürliches, inneres Angebot, das uns zu Glück und Zufriedenheit mit uns selbst und mit anderen führen kann.“ 

Der Mensch soll sich einmischen, Verantwortung übernehmen. Es geht um globale und grundlegende Probleme:
Umweltzerstörung, Klimawandel, das Risiko eines selbstmörderischen Atomkriegs, Überwindung von Egoismus, Nationalismus, Gewalt. Gewaltfreiheit ist „intelligente Feindesliebe“, Dialog ist die einzig sinnvolle Methode zur Lösung von Konflikten. „Außer in seltenen Ausnahmefällen führt Gewalt immer zu neuer Gewalt. Krieg ist in unserer vernetzten Welt nicht mehr zeitgemäß und widerspricht der Vernunft und der Ethik.“ „Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen.“ „Waffenexporte sind ein großes Hindernis für mehr Frieden.“
        „Abrüstung ist praktiziertes Mitgefühl. Voraussetzung einer äußeren Abrüstung ist allerdings eine innere Abrüstung von Hass, Vorurteilen und Intoleranz.“

WAS IST ZU TUN?
„Für eine weltweite säkulare Ethik bedarf es freilich noch weltweiter Forschung. Darüber bin ich mir mit vielen Wissenschaftlern einig, vor allem mit Hirnforschern, Neuropsychologen und Pädagogen. Die moderne neurobiologische Forschung legt nahe, dass sich altruistisches und weniger egoistisches Verhalten für a l l e lohnt.“
„Sicher ist jedoch, dass eine säkulare Ethik eine Schulung des Herzens, viel Geduld und ausdauerndes Bemühen erfordert. Und klar ist auch, dass eine wirklich hilfreiche säkulare Ethik nicht nur eine Frage des Wissens ist, sondern noch mehr eines Frage des Handelns. Wir wissen ja oft, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen.“
„Ich schlage vor: mehr zuhören, mehr nachdenken, mehr meditieren.“ „Wir müssen also nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und forschen, forschen, forschen.“
„Ich blicke mit Freude dem Tag entgegen, an dem Kinder in der Schule die Grundsätze der Gewaltlosigkeit und der friedlichen Konfliktlösung, also der säkularen Ethik, lernen.“ „Es gibt viele Möglichkeiten, die Welt zu verbessern, ein Umdenken zu bewirken: (...) Ich denke, dass wir dies hauptsächlich durch Bildung erreichen können.“
    
           „Durch intensives Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten
 Freunde werden können.“
__________________________________________________
säkular: „weltlich, der Welt der (kirchlichen) Laien angehörend“ (duden.de)

Agnostiker = „Weltanschauung, nach der die Möglichkeit einer Existenz des Göttlichen bzw. Übersinnlichen rational nicht zu klären ist, also weder bejaht noch verneint wird“ (duden.de)


DER APPELL DES DALAI LAMA FÜR EINE SÄKULARE
ETHIK UND FRIEDEN

Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Religionen waren
und sind oft intolerant. Um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, wird Religion oft
missbraucht oder instrumentalisiert – auch von religiösen Führern. Deshalb sage ich, dass wir im 21.
Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen. Ich spreche von einer säkularen Ethik, die
auch für über eine Milliarde Atheisten und für zunehmend mehr Agnostiker hilfreich und brauchbar ist.
Wesentlicher als Religion ist unsere elementare menschliche Spiritualität. Das ist eine in uns Menschen
angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon, welcher Religion wir angehören.
Nach meiner Überzeugung können Menschen zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte,
nicht ohne Ethik. Der Unterschied zwischen Ethik und Religion ähnelt dem Unterschied zwischen Wasser
und Tee. Ethik und innere Werte, die sich auf einen religiösen Kontext stützen, sind eher wie Tee. Der Tee,
den wir trinken, besteht zum größten Teil aus Wasser, aber er enthält noch weitere Zutaten – Teeblätter,
Gewürze, vielleicht ein wenig Zucker und – in Tibet jedenfalls – auch eine Prise Salz, und das macht ihn
gehaltvoller, nachhaltiger und zu etwas, das wir jeden Tag haben möchten. Aber unabhängig davon, wie der
Tee zubereitet wird: Sein Hauptbestandteil ist immer Wasser. Wir können ohne Tee leben, aber nicht ohne
Wasser. Und genau so werden wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach
Mitgefühl – und nicht ohne das Grundbedürfnis nach Wasser.
Ich sehe immer deutlicher, dass unser spirituelles Wohl nicht von der Religion abhängig ist, sondern der uns
angeborenen menschlichen Natur, unserer natürlichen Veranlagung zu Güte, Mitgefühl und Fürsorge für
andere entspringt. Unabhängig davon, ob wir einer Religion angehören oder nicht, haben wir alle eine
elementare und menschliche ethische Urquelle in uns. Dieses gemeinsame ethische Fundament müssen wir
hegen und pflegen. Ethik, nicht Religion, ist in der menschlichen Natur verankert. Und so können wir auch
daran arbeiten, die Schöpfung zu bewahren. Das ist praktizierte Religion und praktizierte Ethik. Das
Mitfühlen ist die Basis des menschlichen Zusammenlebens. Es ist meine Überzeugung, dass die menschliche
Entwicklung auf Kooperation und nicht auf Wettbewerb beruht. Das ist wissenschaftlich belegt.
Wir müssen jetzt lernen, dass die Menschheit eine einzige Familie ist. Wir alle sind physisch, mental und
emotional Brüder und Schwestern. Aber wir legen den Fokus noch viel zu sehr auf unsere Differenzen anstatt
auf das, was uns verbindet. Dabei sind wir doch alle auf dieselbe Weise geboren und sterben auf dieselbe
Weise. Es ergibt wenig Sinn, mit Stolz auf Nation und Religion auf dem Friedhof zu landen!
Ethik geht tiefer und ist natürlicher als Religion.
Auch der Klimawandel ist nur global zu lösen. Ich hoffe und bete, dass diese Erkenntnis auf dem nächsten
Klimagipfel in Paris Ende 2015 endlich zu konkreten Ergebnissen führt. Egoismus, Nationalismus und
Gewalt sind der grundsätzlich falsche Weg. Die wichtigste Frage für eine bessere Welt heißt: Wie können wir
einander dienen? Dafür müssen wir unser Bewusstsein schärfen. Das gilt auch für Politiker. Wir benötigten
positive Geisteszustände. Ich übe das täglich vier Stunden. Meditation ist wichtiger als ritualisierte Gebete.
Kinder sollten Moral und Ethik lernen. Das ist hilfreicher als alle Religion.
Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen. Diesen geben wir zu viel Raum
und unserem Verstand und unserem Mitgefühl zu wenig.
Ich schlage vor: Mehr zuhören, mehr nachdenken, mehr meditieren. Mit Mahatma Gandhi meine ich: »Wir
müssen selbst die Veränderung sein, die wir in der Welt zu sehen wünschen.«
In einigen totalitären Ländern sehen wir, dass Frieden nur von Dauer sein kann, wenn die Menschenrechte
respektiert werden, wenn die Menschen zu essen haben und wenn der Einzelne und die Völker frei sind.
Wahren Frieden mit uns, zwischen uns und um uns herum können wir nur durch inneren Frieden erlangen.
Zum Glück gehört die Entwicklung einer universalen Verantwortung und einer säkularen Ethik.
Ich werde immer an der Gewaltfreiheit festhalten. Das ist intelligente Feindesliebe. Durch intensives
Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten Freunde werden können. Aus der Perspektive
einer rein säkularen Ethik werden wir so zu gelasseneren, mitfühlenderen und urteilsfähigeren Menschen.
Dann haben wir auch die Chance, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Friedens, ein Jahrhundert des
Dialogs und ein Jahrhundert einer fürsorglicheren, verantwortungsvolleren und mitfühlenderen Menschheit
wird.
Das ist meine Hoffnung. Und das ist mein Gebet. Ich blicke mit Freude dem Tag entgegen, an dem Kinder in
der Schule die Grundsätze der Gewaltlosigkeit und der friedlichen Konfliktlösung, also der säkularen Ethik,
lernen.
Den materiellen Werten wird heute zu viel Bedeutung beigemessen. Sie sind wichtig, aber sie können
unseren psychischen Stress, unsere Furcht, Wut oder Frustration nicht verringern. Wir müssen jedoch unsere
mentalen Belastungen, wie zum Beispiel Stress, Ängste, Frustrationen, überwinden. Deshalb brauchen wir
eine tiefere Ebene des Denkens. Das verstehe ich unter Achtsamkeit.
Durch Meditation und Nachdenken können wir zum Beispiel lernen, dass Geduld das wichtigste Gegenmittel
gegen die Wut ist, Zufriedenheit gegen Gier wirkt, Mut gegen Angst, Verständnis gegen Zweifel. Zorn über
andere hilft wenig, stattdessen sollten wir dafür sorgen, dass wir uns selbst ändern.
Jetzt scheint der Mensch etwas an Reife zu gewinnen. Das Bedürfnis nach Frieden bzw. die Ablehnung von
Gewalt ist sehr stark. Wir müssen weltweit Anstrengungen unternehmen, alle gewalttätigen Methoden zu
stoppen, einzudämmen oder abzuschaffen. Jetzt reicht es nicht mehr aus, den Menschen zu sagen, dass wir
Gewalt ablehnen und Frieden wollen.
Wir müssen wirksamere Methoden anwenden. Waffenexporte sind ein großes Hindernis für mehr Frieden.
Wann immer wir auf Probleme stoßen oder wirtschaftliche Konflikte entstehen, aber auch in Fällen von
religiösen Differenzen, müssen wir darauf hinwirken, dass die einzig wahre Methode der Dialog ist.
Wir müssen lernen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Das letzte Jahrhundert war das Jahrhundert
der Gewalt. Unser 21. Jahrhundert sollte das Jahrhundert des Dialogs sein! Die Vergangenheit können wir
niemals ändern, aber wir können immer lernen für eine bessere Zukunft.
Die Vorstellung, Probleme seien mit Gewalt und Waffen zu lösen, ist ein verheerender Irrglaube. Außer in
seltenen Ausnahmefällen führt Gewalt immer zu neuer Gewalt. Krieg ist in unserer vernetzten Welt nicht
mehr zeitgemäß und widerspricht der Vernunft und der Ethik. Der Irak-Krieg, den George W. Bush 2003
begann, war ein Desaster. Dieser Konflikt ist bis heute nicht gelöst und hat viele Menschen das Leben
gekostet.
Es reicht freilich nicht, nur an den Friedenswillen der Politiker zu appellieren. Wichtiger ist, dass sich immer
mehr Menschen auf der ganzen Welt zur Abrüstung bekennen. Abrüstung ist praktiziertes Mitgefühl.
Voraussetzung einer äußeren Abrüstung ist allerdings eine innere Abrüstung von Hass, Vorurteilen und
Intoleranz. Ich appelliere an alle aktuellen Kriegsparteien: »Rüstet ab und nicht auf!«, und an alle Menschen:
»Überwindet Hass und Vorurteile durch Verständnis, Kooperation und Toleranz!«
Trotz allen Leids, das China uns Tibetern seit Jahrzehnten zufügt: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die
meisten menschlichen Konflikte durch aufrichtigen Dialog gelöst werden können. Diese Strategie der
Gewaltfreiheit und der Ehrfurcht vor allem Leben ist das Geschenk Tibets an die Welt.
Dalai Lama
Dharamsala, im März 2015
Entnommen dem Buch „DER APPELL DES DALAI LAMA AN DIE WELT - Ethik ist wichtiger als Religion“,
Erste Auflage 2015, © 2015 Benevento Publishing