Vorschau 7.8. 2015: Sufismus und seine Bedeutung für die
Gegenwart Christian Brehmer
Allen
Menschen ist die Suche nach ihrem Ursprung eingeschrieben. Die bewusste Suche
wird auch als Mystik (griech. myein = die Augen schließen) bezeichnet. Der Weg
führt nach innen. Er hat in unterschiedlichen geographischen Regionen der Erde
unterschiedliche Ausprägungen angenommen. Im nahen Osten ist es der Sufismus, der
bereits vor Mohammed existierte und durch den Islam einen neuen Auftrieb
bekommen hat. Die Gottessucher kleideten sich in grobwollem Stoff, arabisch
suf, daher der Name. Vertreter eines „universellen Sufismus“ sehen eine Beziehung
zwischen dem Begriff der Sophia (griech. Weisheit) und der Bezeichnung Sufi.
Während
der orthodoxe Islam mehr eine Gesetzesreligion ist, ist der Sufismus eine Herzensreligion.
Es geht um die Beziehung zwischen dem
Liebenden (Sufi) und dem Geliebten (Gott). Ziel ist die Rückbindung an Gott, was
eigentlich das ursprüngliche Anliegen aller Religionen (lat. re-ligare =
Rückbindung) ist. Das Gesetz und der Glaube sind zwar der Ausgangspunkt, doch darüber hinaus strebt der Sufi nach
Gotteserfahrung. Dabei hilft ihm die Loslösung vom Verhaftetsein an die Sinne
und an das Ego. Das Ego muss „sterben“ damit das Selbst sich mit dem göttlichen
Prinzip vereinen kann (unio mystica).
Ein
wesentliches Werkzeug auf dem Wege der Befreiung ist für den Sufi das „Dhikr“ =
Gedenken (an Gott): Durch das liebe- und hingebungsvolle Wiederholen von Gottes
Namen und sich Versenken in Gott - meist in der Gruppe - strebt der Sufi danach sich mit Gott zu vereinen. Eine befreiende Kraft kommt ihm dabei entgegen.
Diese Wiederholung stellt sich dann mit der Zeit auch im Alltag ein als ein
sanfter Hintergrund der inneren Orientierung, der stillen Freude und der Geborgenheit.
Mithin erfolgt die „Erlösung“ schon im gegenwärtigen Leben und nicht erst nach
dem Tode. Der Sufi wirkt tatkräftig in der Welt, ist jedoch nicht von der Welt.
„Sufismus ist Ruhm im Elend, Reichtum in der
Armut, Herrschaft in Dienstbarkeit, Sättigung im Hunger, Leben im Tode und Süße
in der Bitterkeit … Der Sufi ist der, der mit allem zufrieden ist, was
Gott tut, so dass Gott mit allem zufrieden ist, was er tut.“
Dieses
Zitat von Abu Sa’id verweist auf die innere Erfüllung des Sufi und dem daraus
erwachsenden Gleichmut. Das steht im krassen Gegensatz zur nie endenden Suche
nach äußerer Erfüllung, wie sie unsere Konsumgesellschaft kennzeichnet und wie
sie in die Umweltzerstörung einmündet.
„Jenseits aller Vorstellungen über richtig und falsch ist ein Feld. Ich treffe Dich dort“.
Diese Aussage des persischen Sufi-Dichters Rumi verweist auf die Lösung der nie endenden Kontroverse im demokratischen Prozess und dem Streit unter Individuen, Parteien, Nationen und Religionen. Jenseits aller Meinungsverschiedenheiten ist ein Bewusstseinsfeld der Wahrheit (der Sophia). Durch Beruhigung des Geistes (z.B. durch Meditation) wird dieses Bewusstseinsfeld zugänglich.