Dienstag, 20. Mai 2014



Nachlese 2.5.2014                                           Christian Brehmer             

Das Referat von Frau Dr. Stefanie von Bar über Meister Eckhart am 4.4. hatte Nachdenken ausgelöst und Fragen offengelassen.  Daran knüpften wir am 2.5.an:                                                                                                                                        Zunächst  ging es noch einmal um unsere gegenwärtige Befindlichkeit, das Leben in der „Aversio“, der Abkehr von Gott: Wir werden von unserem begehrenden Denken vereinnahmt,  wünschen uns  Gesundheit, Erfolg im Beruf, Erfüllung im Privatleben, Anerkennung unserer Mitmenschen, Spaß in unserer Freizeit – ist ja auch ganz „normal“.  Nur geht dieses begehrende Denken vom Ich aus. Unsere Intelligenz im Einsatz zur Erfüllung unserer Wünsche ist „ichlich“, ist partikular, also begrenzt von der Ratio im Dienste des Ego, und nicht ganzheitlich,  und so letztlich – denn die Natur ist eine Ganzheit – zum  Scheitern verurteilt. Ganzheitlichkeit, gibt es nur mit Gott, sie ist die Wirklichkeit unserer Existenz. Also muss der logische Schritt die „Reversio“ sein, die Rückwendung zu Gott.
Die Rückwendung zu Gott erfolgt nach Eckhart über die „Abgeschiedenheit“, die Loslösung von allem Sinnlichen und ihren Nachwirkungen als Gedanken. (Also genau das, was wir in unserer „Entspannungsreise“ zu Beginn unserer Philrunde versuchen.) Aller Gedanken ledig, in der absoluten Abgeschiedenheit, erfährt der Mensch die vollkommenen Ruhe, das Nichts, den Seelengrund, in dem die Einung mit dem Göttlichen erfolgen kann. Der „edle Mensch“ wird geboren; er lebt aus der Ganzheit heraus (s.o.) zum Wohle seiner selbst, seiner Mitmenschen und der Umwelt.
Die Frage kam auf, ob diese Rückwendung zu Gott in unserer Gesellschaft überhaupt möglich ist, oder ob es der klösterlichen „Abgeschiedenheit“ bedarf. Eckhart  hat es zu seiner Zeit vorgelebt. Er hat als Provinzial und Generalvikar der Dominikaner, später als Lehrstuhlinhaber des Studium Generale an der Universität Köln ein äußerst aktives Leben geführt.    Zum Verständnis half uns allen das Bild von Tür und Angel. Die Angel ist unsere Seele (die wir u.a. in der Meditation erfahren und stärken), die Tür ist die Handlung aus der Seele, aus der Ganzheit heraus.
Es kam der Einwand auf, dass wir Menschen als biologische Wesen von Natur aus begrenzt sind. Können wir uns denn über unsere Schatten erheben? In diesem Zusammenhang sei an unsere ausführliche Diskussion über die Ergebnisse der modernen  Gehirnforschung erinnert. Inzwischen werden die Befunde der „Neuroplastizität“ des Hirns jedoch allgemein akzeptiert.
Abschließend wurde noch der Frage nachgegangen, ob dem gegenwärtigen Bedeutungsverlust der Kirchen durch christliche Mystik im Sinne Meister Eckharts entgegen gewirkt werden könnte. (Vgl. hierzu auch unsere Diskussion zu „Gott 9.0“)

Vorschau 6.6.2014
Religionen – ihre hellen und dunklen Seiten                       Jürgen Staas
Religion bedeutet dem Wortsinne nach Rückbindung, Achtsamkeit in der Bedeutung von Vorzeichen und Vorschriften, speziell bei Buch- bzw. Gesetzesreligionen. „Substanzialistische“ Religionen betonen den Bezug zum Heiligen, Transzendenten, Numinosen, Absoluten. „Funktionalistische“ Religionen spielen eher eine gemeinschaftsstiftende, gesellschaftliche, politische Rolle. Oft verbinden sie beide Rollen. Der religiöse Mensch entwickelt ein Gefühl „schlechthinniger Abhängigkeit“ (Schleiermacher). Wertvorstellungen haben einen normativen Einfluss. Lange Traditionen, übernatürliche Vorstellungen (Götter, Engel, Teufel), Mythen (Narrative) bieten Sinngebung. Der Glaube wird in Dogmen gefasst. Heilige Orte, Schriften, Gebäude, Priester, Weise, Kunst, Poesie und Musik, bieten Orientierung, Bindung, Halt, Ordnung, Heimat, Lebenshilfe. Mythen erklären Schöpfung, Natur, Leben, Gottheit und Menschsein. Es gibt theistische und atheistische Religionen. Alle o.g.  Qualifizierungen und Differenzierungen machen es schwer, allen Religionen gemeinsame Eigenschaften zuzuschreiben. In einem übergeordneten Sinne sollten sie dem Menschen tiefere Einsichten vermitteln und ihm Lebenshilfe bieten.
Die Wirklichkeit ist davon oft weit entfernt. Absolute Wahrheitsansprüche führen zu Dogmatismus und Intoleranz, besonders extrem in theokratischen Systemen. Besonders der strenge Monotheismus (AT) neigt dazu: Grausame Gewaltbereitschaft im alten Israel, im zeitgenössischen Islam, im christlichen Mittelalter, im Neuenglandpuritanismus, im modernen Fundamentalismus. Schreckensmeldungen erreichen uns täglich aus dem Orient oder aus Afrika. Man wird nicht umhinkönnen, zwischen aufgeklärter und unaufgeklärter Religion zu unterscheiden.
„M.E. hat man sich bisher über die Zerstörungskraft religiöser Überzeugungen viel zu wenig Gedanken gemacht.“ Messadié, in seinem Buch über den Antisemitismus. – „Es ist nicht der Zweifel, der die Menschen verrückt macht, sondern die Gewissheit“. Nietzsche. Der religiös motivierte Terrorismus, aktuell besonders in der islamischen Welt virulent, ist ein Ärgernis der modernen Welt. Lesenswert: H.M. Enzensberger: „Schreckens Männer.“ Oder jüngstes Werk: Hamed Abdel-Samad: „Der islamische Faschismus“. Was zählt? Der ursprüngliche gute Wille (Kant), oder Jesu Wort „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“? Letzteres scheint mir realistischer!