Nachlese vom
5.4.2013 Text: Christian Brehmer
Suche nach Erkenntnis
Nach dem Gemeinschafts-stiftenden Vorspann gab es
eine kurze Rückbesinnung auf das Thema unserer letzten Runde: „Hat der Mensch
einen freien Willen?“ Wir wollten dann zum aktuellen Thema übergehen „Bleiben
wir einen Leben lang derselbe?“ auf der Grundlage des Textes des Bremer
Hirnforschers G. Roth. Aber, wie das Leben so spielt, es entwickelte sich etwas
anderes.
Zunächst
hat sich das Gespräch um das Spannungsfeld Gesellschaft – Individuum bewegt. In unserer Gesellschaft sind Leistung
und Wohlstand dominierende Werte (orange Bewusstseinsstufe nach Clare Graves),
und das spüren wir von Kindesbeinen an. In unseren Schulen geht es vorwiegend
um die Förderung der rationalen
Intelligenz, und die intuitive Intelligenz bleibt auf der Strecke. Letztere
beinhaltet auch Kritikfähigkeit, und die ist wenig gefragt. Was unsere
Gesellschaft braucht, sind angepasste, leistungsbereite und konsumorientierte Bürger. Intuitive
Intelligenz, Orientierung an den in der Tiefe des Bewusstseins anwesenden Werten,
wer kennt das schon? – „Treue zu sich
selbst“ und „Leben aus dem Herzen“ waren
Stichpunkte in unserer Diskussion. Aber auch die Relikte von magischem und
mythischem Denken in unserer aufgeklärten Gesellschaft.
Das Gespräch war bunt und lebendig. Hier
stellt sich die Frage, ob wir der Diskussion freien Lauf geben sollten oder
immer wieder zu unserem Thema zurückkommen sollten. Hören wir dazu Angela:
„Lass uns nicht an Ruhm und Ehre anderer Autoren hängen bleiben,
wenn wir begreifen, dass es immer mehrere Wahrheiten gibt und sie immer
kontextabhängig sind, also ein sowohl – als auch- Denken nötig ist,
müssen wir uns vor allem in dieser Offenheit üben. Für den einen ist das
Klopfen auf dem Tisch, das Jetzt und Hier dran, als seine Ausdrucksmöglichkeit,
während der andere das Bedürfnis nach einem langen tiefen mmmh hat und der
nächste nach absoluter Stille……Soll Kreativität und mehr Flexibilität
im Geiste aus unseren Treffen hervorgehen, ist es nicht wichtig, am
Ende mit der Meinung nach Hause zu gehen, ich hab Recht behalten, oder habe die
Anderen überzeugt. Ergebnisoffen und gleichzeitig themenzentriert nach Plan….,
lass uns den Raum dazwischen aufsuchen …und zulassen !
Ergebnisoffen
und themenzentriert – einverstanden.
Mehrere Wahrheiten? Nicht einverstanden. Mehrere Meinungen, ja! Das ist
das Dilemma unserer pluralistischen Gesellschaft! Aber nur eine „absolute“
Wahrheit. Und der können wir uns nähern, indem
rationale Information, Diskussion
und Erkenntnis ergänzt werden durch Reflektion, Abstraktion, Transzendenz und Integration.
Aber das will geübt werden, vorausgesetzt wir sind motiviert. Oder wir
verharren in unserer tristen Mittelmäßigkeit.
Unsere
Philrunde wurde diesmal durch Besuch aus Bremen abgerundet. Adam Zablocki,
Philosoph aus Bremen, deutsch-polnischer Herkunft, kam eigens angereist, um an
unserer Philrunde teilzunehmen. Hören wir etwas von seinem persönlichen
philosophischen Ansatz und seine Eindrücken von uns:
„Meine Reflexionen
als Gast bei der Philrunde:
Meine Reise nach Melle war u.a. eines von meinen
„Feldforschungs“- Projekten.Ich bin immer fasziniert mit Menschen zu sein, die
sich nicht über die Banalitäten des Lebens austauschen möchten, sondern über
das, was für sie wesentlich ist... - damit kommen sie dem Ursprung der
Philosophie näher, die z.B. im antiken Griechenland viel mehr
lebensbezogen war, mit Ethik und Psychologie verschmolzen... z.B. Seneca:
„Die Philosophie lehrt handeln und nicht reden.“ Oder
Plato, der die Philosophie als „Fürsorge für die Seele“ bezeichnete.
Ein
paar von meinen Forschungsthemen sind:
Kollektive
Autopoiese also
Selbstregulationstendenzen in der Gruppe und die Erforschung und Anwendung von
Prinzipien, die Kongruenz, Synergie, Kreativität, Potentialität... in der
Gruppe stärken;
Vertikale
Hermeneutik (V.H.)
- wie sich die Bedeutungsebenen ineinander verschachteln und aufeinander
aufbauen - das Subjekt interpretiert und gibt damit den Phänomenen Bedeutung
und Wert, daher wendet sich die V.H. dem Geheimnis der Subjektivität zu und
entdeckt, dass rationale Interpretationen nur eine dünne Schicht im
menschlichen Wahrnehmungs-/Interpretations-Spektrum sind ( es kann sein, dass
ein Moment für uns enormen Wert hat, was für uns aber nicht rational begründbar
ist).
Die
V.H. grenzt sich nicht von der herkömmlichen Hermeneutik ab, sondern integriert
und erweitert diese. In ihr geht es nicht primär um Interpretationen von
Texten, Kunstobjekten und Ereignissen, sondern um das, worauf die ganze
Schöpfung hin-deutet - auf den höchsten Wert.
In
der Gruppe habe ich vor allem auf die energetischen Phänomene geachtet; die
rationalen Themen (Monismus, Dualität, Materialismus...) waren für mich nur wie
ein Vorwand dem Selbst-Verständnis den Weg offen zu halten. Und obwohl der
ganze Austausch in einem konventionellen Beziehungs- und Kommunikations-Raum
stattfand, war es für mich sehr interessant zu erleben wie sich die ganze
Gruppendynamik mit der Zeit in Richtung mehr Achtsamkeit, Leichtigkeit,
Neugierde, Intimität... bewegte. Das zeugt eindeutig von der Potenzialität, die
in der Gruppe besteht.
Es
ist wichtig zu verstehen, dass alle unsere Aussagen über philosophische Themen,
über das Leben... keine Aussagen sind über die Phänomene sondern über uns
selbst. Das sind alles unsere Meinungen also Interpretationen. Unsere
Interpretationen spiegeln lediglich momentane Bewusstseinszustände, also die
Bewusstseinsebene, die aktuell jedem zur Verfügung steht.
Der
Erfolg der Philrunde besteht nicht darin, die gleiche Meinung zu haben, sondern
in einem erfolgreichen Prozess der Wahrheit näher zu kommen. Die Alten wussten
immer schon: „Einheit, Dreiheit, das sind Namen, Namen aber sind Schall und
Rauch.“ (Areopagita)
Wenn
ich eine Position einnehme, in der ich es „besser weiß“ als die anderen, habe
ich meinen Forscherstatus verloren, ich bin auf einer Ebene
eingefroren... daher glaube ich, dass es äußerst wichtig ist, die Zeit der
Begegnung zu nutzen, um sein eigenes Wahrnehmungs- und Interpretations-Organ zu
reflektieren und zu befreien von eingefleischten Neigungen - also zu
kultivieren.
In
der konventionellen Welt haben wir den Zugang zu unserer Seele verloren. Sie
wurde wie C.G.Jung
sagt „zum Abfallhaufen für moralischen Kehricht“ reduziert. Durch
Abhängigkeitsstrukturen und Angst „nicht dazuzugehören“ (Heteronomie) haben wir
uns von unserer inneren Steuerung entfernt.
Um
das neue post-konventionelle Kommunikations-Paradigma zu leben, ist es
fundamental wichtig die eigene Kongruenz - also Übereinstimmung mit sich
selbst, mit der eigenen Seele, den eigenen Gefühlen... zu praktizieren. Das
Bestreben die eigene Kongruenz zu pflegen ist die Basis um Gruppen-Kongruenz zu
erfahren.
Flügelschlag der Seele:
Die Philosophie ist nicht primär eine Ansammlung von
Theorien, sondern die Kunst mit dem Leben umzugehen - also die Weisheit. Das
Wort „Theorie“ kommt von dem griech. Begriff theoria und bedeutet Anschauung,
für Aristoteles ist es „eine beglückende Wahrnehmung“. Die Buddhisten sagen,
dass die Buddhas das Leben so sehen wie es ist. (theoria)
Wenn Plato „Erstaunen ... als Anfang der Philosophie“
bezeichnet, geht es hier nicht um eine Kopfgymnastik, sondern um radikal neue
Betrachtung, neue Wahr-Nehmung des Lebens, ... also das Verlassen der
konventionellen „Höhle“. (Höhlengleichnis)
Wie können wir Dir Leben begegnen?
Wie können wir uns im Leben, in unserem Kreise
begegnen?
Je näher wir dem Menschen in uns kommen, desto mehr
können wir den Menschen in anderen sehen. Da, wo sich Menschen begegnen kann
ein Spannungsfeld entstehen... wenn wir die Spannung als Problem sehen, dann
haben wir einfach ein Problem, wenn wir sie aber als Chance sehen, als
Möglichkeit unseren eigenen Umgang mit dem Leben zu verfeinern, dann sind wir
schon im Lernprozess, und darum geht's.“
Vorschau zum 3. Mai 2013: Hannah Arendt
Text: Roswitha Pentzek
„Der einzige Sinn der Politik ist Freiheit.“ Nach Hannah Arendt haben Politiker einer
Demokratie die Aufgabe, „für ein Leben in Menschenwürde, Gerechtigkeit und
Freiheit einzutreten“ - und zwar für alle Menschen - und auch danach zu
handeln. „Macht sich der Mensch aber zum gottähnlichen Herrn des Daseins wird
er kein WELT-erschaffendes sondern
ein WELT-zerstörendes Wesen",
heißt es bei ihr an anderer Stelle. Und unserer Politik-verdrossenen
Gesellschaft hält sie vor:„jeder zum Denken befähigte Mensch hat die Pflicht, politisch zu handeln!“ „ Das
Politische“, sagt Arendt in ihrem Werk Vita Activa, „gehört nicht zum Wesen des Menschen“. Vielmehr
sei das Politische außerhalb des einzelnen Menschen, das dadurch entstehe, dass
eine Pluralität von Menschen miteinander in Beziehung trete.
Das könnten ganz aktuelle Überlegungen sein, wenn wir
nicht wüssten, dass die Politologin, Journalistin und Philosophin 1906 in
Hannover geboren wurde und 1975 in New York starb.
Im Wahljahr 2013 möchte ich an das Denken der
philosophischen Politologin (so nannte sie sich selber) erinnern, denn „nichts ist flüchtiger als menschliche Worte
und Taten; wenn sie nicht erinnert
werden, überleben sie kaum den Augenblick des Vollzugs.“ (H. Arendt,
„Denken ohne Geländer“)